Wände im Wandel
Die Braunschweiger Kemenaten
Zwei Kleinode im Braunschweiger Stadtbild sind die Jakob- Kemenate am Eiermarkt und die Hagen-Kemenate an der Hagenbrücke – und sie stehen beide exemplarisch für die lange und wechselvolle Braunschweiger Geschichte.
Bis ins späte Mittelalter entstanden in Braunschweig rund 150 kleine Steinbauten – darunter auch die sogenannten Kemenaten. Die Steinbauten waren aufwändiger als die sonst üblichen Holzbauten und somit ein Zeichen von Reichtum: Als Anbauten befanden sie sich meist hinter dem Haupthaus und dienten als Schutzraum gegen Feuer und Diebe und zur Aufbewahrung wert- voller Güter. Ihr Name leitet sich von der Ausstattung mit einem Kamin ab (lat. caminata: beheizbarer Raum), wodurch die Räume besonders behaglich waren.
Die Kemenate an der Hagenbrücke ist seit 2015 öffentlich zugänglich – als Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum. Foto: Stiftung Prüsse
Die Jakob-Kemenate ist das wohl älteste noch existierende weltliche Gebäude Braunschweigs – sie stammt aus dem Jahr 1250. Sie vollzog einen deutlichen Wandel und diente ab 1765 als Bank. Historisch bedeutsam: Das „herzogliche Leyhaus“, gegründet von Herzog Karl I., hatte hier seinen Sitz und gilt als erste staatliche Bank auf deutschem Boden und Keimzelle der Nord/LB. Das Gemäuer überstand mehrere Kriege und geriet in der Folgezeit etwas in Vergessenheit. Kurz nach der Jahrtausendwende widmeten sich Karin und Joachim Prüsse den alten Mauern – und entdeckten die Chance, hier einen außergewöhnlichen Ort für die Bewahrung von Baugeschichte und Kultur zu schaffen: Die Jakob-Kemenate verwandelte sich unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten zum Kunst- und Begegnungszentrum. Seit 2006 finden hier Ausstellungen, Musikveranstaltungen und Lesungen statt, die stimmungsvollen Räume stehen auch für standesamtliche Hochzeiten und Feiern zur Verfügung. Zudem befindet sich im Obergeschoss eine Bibel-Bibliothek – hier werden sogenannte herrenlose Bibeln aus aller Welt gesammelt, die deren Besitzer nicht mehr benötigen.
Die Kemenate an der Hagenbrücke entstand ebenfalls im 13. Jahrhundert. Ursprünglich versteckt hinter den Fachwerkbauten an der Hagenbrücke, wurde sie durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs freistehend. Wieder war es die Familie Prüsse, die es sich zur Aufgabe machte, das historische Bauwerk zu erhalten und einer aktuellen Nutzung zuzuführen. Um die relativ kleine Kemenate möglichst denkmalgerecht zu erhalten, wurde der Bau aufgestockt. Daher rührt der markante Aufbau, durch den heute die Nutzung als Ausstellungs- und Veranstaltungsort möglich ist.
Besonders ins Auge sticht bei beiden Kemenaten die durch Cortenstahl erzeugte Rost-Optik. Diese rückt die Historie gleich doppelt in den Fokus: Einerseits sollen auch früher Eisenplatten als Schutz vor Angriffen gedient haben. Andererseits erinnert das Material der Neubauten an den Aspekt des Alterns – eine gelungene Verbindung aus mehr als 750 Jahren Stadtgeschichte und noch ganz viel Zukunft.