Happy Birthday, Fernwärme!

100 Jahre Fernwärme in Braunschweig – Zuerst per heißem Dampf,
inzwischen als Heizwasser kommt die Wärme verlässlich und bequem seit einem Jahrhundert ins Haus. Ein Grund zu feiern und einmal zu schauen, wie in der Löwenstadt alles anfing und was für die Zukunft geplant ist.

In Deutschland gibt es laut der Arbeitsgemeinschaft Fernwärme (AGFW) rund 3.800 Fernwärmenetze. Über diese werden aktuell 14 Prozent der deutschen Haushalte mit Fernwärme beliefert, das entspricht etwa 6 Millionen von 43 Millionen Wohnungen im Bundesgebiet. Mit einem Fernwärmeanteil von deutlich mehr als 30 Prozent bei der Wärmeversorgung gehört Braunschweig im Bundesvergleich zu den Spitzenreitern in Deutschland. In der Löwenstadt versorgt BS|ENERGY rund 60.000 Haushalte, öffentliche Einrichtungen und Unternehmen mit Wärme.

Das Drehstromwerk an der Uferstraße, dem heutigen Standort Mitte, übernahm ab 1928 die Strom- und Wärmeversorgung von Braunschweig. Bild: Stadtarchiv Braunschweig.

Wer hat’s erfunden?

Der Gedanke, Dampf zu Heizzwecken zu nutzen, wurde bereits 1653 in einer in London erschienenen Schrift zur Beheizung von Gewächshäusern beschrieben. James Watt, der Vater der Dampfmaschine, heizte bereits 1784 die Büroräume seiner Werkstatt mit dem Abdampf seiner Dampfmaschinen und nutzte somit die Abwärme seiner Maschinen effizient aus. Die erste öffentliche Fernwärmeversorgung entwickelte 1876 der Amerikaner Birdsill Holly in Lockport (USA) – und ist damit älter als die erste öffentliche Stromversorgung. Die installierte Thomas A. Edison nämlich erst 1882 in New York. Von seinem Schuppen aus gelang es Holly, sein Wohnhaus und kurze Zeit später auch das Nachbarhaus „fernzuheizen“. Er ließ sich die Idee patentieren und versorgte kurz darauf bereits eine größere Anzahl von Wohn- und Geschäftsräumen mit seinem „Holly-Heizwerk“ über ein Leitungsnetz von fünf Kilometer Länge mit Wärme. In Deutschland wurden zunächst einzelne Gebäude, wie zum Beispiel ab 1888 das neu erbaute Hamburger Rathaus aus dem Elektrizitätswerk in der Poststraße, zentral mit Wärme versorgt. Während man heute von Fernwärme spricht, wurde diese Art der Wärmeversorgung Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland noch als „Städteheizung“ bezeichnet. Die erste „Städteheizung“ wurde 1900 in Dresden in Betrieb genommen.

Wie in Braunschweig alles begann

Am 15. November 1924 war es soweit: Erstmals schoss heißer Dampf durch die Leitungen und versorgte vom Gleichstromwerk in der Wilhelmstraße aus staatliche und städtische Gebäude in der Braunschweiger Innenstadt mit Fernwärme. Bereits im darauffolgenden Sommer hatte das Rohrleitungsnetz eine Ausdehnung von 3,2 Kilometern erreicht. Die Trasse führte vom Werk in der Wilhelmstraße bis zum damaligen Hauptbahnhof am Friedrich-Wilhelm-Platz und versorgte 73 Abnehmer mit Fernwärme. Das 1916 erbaute Drehstromwerk an der Uferstraße, das heutige Heizkraftwerk Mitte, übernahm dann ab 1928 die Braunschweiger Strom- und Fernwärmeversorgung. Bereits ab 1930 erfolgte die Erzeugung mittels hocheffizienter Kraft-Wärme-Kopplung. Auch während des Zweiten Weltkriegs konnte die Fernwärmeversorgung der Stadt weitestgehend sichergestellt werden. Mit dem großen alliierten Bombenangriff am 15. Oktober 1944 wurde der Fernwärme in Braunschweig dann allerdings ein jähes Ende bereitet. Erst ab 1946 konnte schrittweise die Fernwärmeversorgung wieder aufgenommen werden.

Die Verlegung der Fernwärmeleitungen in den 1920er Jahren: In der Poststraße (im Hintergrund das Gewandhaus und die Martinikirche) und am Ruhfäutchenplatz in Richtung Rathaus, Burg Dankwarderode und Dom. Bilder: BS|ENERGY.

Vom Dampf- zum modernen Heizwassernetz

Mit dem Ausbau der Wärmeversorgung vollzog sich in Braunschweig ab den 1960er Jahren ein technischer Wandel. Die neuen Wärmenetze nutzten nun anstelle von heißem Dampf Heizwasser als Wärmeträger. Das neue Heizmedium überzeugte durch eine bessere Regelbarkeit, geringere Wärmeverluste beim Transport und ein höheres Wärmespeichervermögen. Ein Meilenstein bei der Umstellung von Dampf zu Heizwasser war im Juli 1998 erreicht: Mit einem Festakt im Heizkraftwerk wurde der Dampfleitungsstrang in die Innenstadt zugedreht. Die allerletzte Dampfleitung ging übrigens erst 2008 außer Betrieb. Heute misst das Fernwärmenetz stolze 279 Kilometer, dazu kommen nochmals 12 Kilometer an Nahwärmetrassen. 

 

Kohle adé!

Das Herzstück der Fernwärmeversorgung in Braunschweig ist das Heizkraftwerk Mitte. Das Heizkraftwerk Nord und die Heizwerke West und Süd unterstützen als Reserve und in Spitzenlastzeiten, zum Beispiel bei hoher Nachfrage an besonders kalten Wintertagen. Die Braunschweiger Fernwärme wird in umweltschonender Kraft-Wärme-Kopplung unter Einsatz von erneuerbaren Energien erzeugt. Nach fast 40 Jahren wurde das Braunschweiger Kohleheizkraftwerk am Standort Mitte in diesem April vom Netz genommen.  

Vorausgegangen waren die Modernisierung und der Neubau von Erzeugungsanlagen mit der größten Investition in der Firmengeschichte von BS|ENERGY in Höhe von rund 250 Millionen Euro.
Das Steinkohleheizkraftwerk, das Strom und Wärme am Standort Mitte produzierte, wurde durch ein Biomasse-Heizkraftwerk mit dem Hauptbrennstoff Altholz in Kombination mit einem Gasturbinen-Heizkraftwerk ersetzt. Die moderne Gasturbine des Gasturbinen-Heizkraftwerks ist H2ready – das bedeutet, dass sie nach technischen Anpassungen mit einem großen Anteil an erneuerbarem Wasserstoff im Erdgas ohne Probleme Strom und Wärme produzieren kann. Zusammen mit der bestehenden flexiblen Gas- und Dampfturbinenanlage, die einer Leistungssteigerung unterzogen wurde, gewährleisten die neuen Anlagen die Versorgungssicherheit. Denn: Fernwärme ist ein regionales Produkt, das hier vor Ort erzeugt und verbraucht wird und sich nicht – anders als Strom, der jederzeit aus dem Verbundnetz bezogen werden kann – von anderen Erzeugern beziehen lässt.

Damals wie heute

Fernwärme ist eine bewährte Technologie. Was vor 100 Jahren für diese Art der Wärmeversorgung galt, gilt auch heute noch: Die Wärme kommt bequem ins Haus – ohne zusätzlichen Aufwand. Eine kompakte und platzsparende Fernwärme-Hausstation ersetzt die Heizungsanlage; Brennstoffeinkauf, Wartung und Schornsteinfeger entfallen. Die zentrale Erzeugung der Wärme im Heizkraftwerk Mitte mittels Kraft-Wärme-Kopplung ist wirtschaftlich und umweltschonend. Durch die Umstellung von Steinkohle auf Altholz als regenerativem Energieträger sank der Primärenergiefaktor der Fernwärme in Braunschweig von 0,7 auf 0,27. Davon profitieren Immobilieneigentümer, da sie sich nicht selbst um die gesetzlich vorgeschriebene Dekarbonisierung ihrer Wärmeversorgung bis 2045 kümmern müssen. Auf die nächsten 100 Jahre! 

„Wir ruhen uns auf dem Erfolg des Kohleausstiegs nicht aus. Unser Anspruch ist, bis 2035 treibhausgasneutral zu werden. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, wird BS|ENERGY weiterhin sein Know-how und seine finanziellen Ressourcen in die Modernisierung der Erzeugungsanlagen und den Netzum- und -ausbau investieren.”

– Jens-Uwe Freitag, Vorstandsvorsitzender BS|ENERGY

279 Kilometer Fernwärme- und 12 Kilometer Nahwärmeleitungen helfen dabei, rund 60.000 Haushalte, öffentliche Einrichtungen und Betriebe zu versorgen.

Gut zu wissen: Egal ob Sie mit Fern- oder Nahwärme versorgt werden, Sie merken erstmal keinen Unterschied, wenn Sie die Heizung oder das Warmwasser aufdrehen. Von Fernwärme spricht man, wenn Heizung und Warmwasserbereitung für viele Gebäude von einer gemeinsamen Heizzentrale zentral versorgt werden. Als Nahwärme wird die Wärmeversorgung aus einem dezentralen Wärmenetz bezeichnet. Diese Quartierslösungen kommen dort zum Einsatz, wo das zentrale Fernwärmenetz zu weit entfernt ist. Auch hier werden die angeschlossenen Gebäude von einer Heizzentrale mit Wärme versorgt. Derzeit betreibt BS|ENERGY sieben Nahwärmenetze im Braunschweiger Stadtgebiet.

Im Dezember 2023 wurden das neue Biomasse-Heizkraftwerk inklusive Lager und das neue Gasturbinen-Heizkraftwerk am Standort Mitte in Betrieb genommen. Im April 2024 vollzog BS|ENERGY den Kohleausstieg. Bild: BS|ENERGY.

Ausblick: Wie geht’s mit der Fernwärme in Braunschweig weiter?

Dr. Stefan Ludewig, Abteilungsleiter Vertrieb Wärme und Dezentrale Erzeugung, erläutert, was BS|ENERGY beim Ausbau des Wärmenetzes derzeit plant und wo die Herausforderungen von morgen liegen.

100 Jahre Fernwärme – Ausruhen oder ausbauen?

Definitiv ausbauen! Aber natürlich nur da, wo es Sinn macht. Für eine strategische Wärmenetzplanung hat BS|ENERGY den Ist-Zustand analysiert und dabei folgende Fragen betrachtet: Wo stehen Häuser, welchen Energiebedarf haben diese, welche Gebäude sind bereits an das Fernwärmenetz angeschlossen? Wie ist die bisherige Auslastung und wie hoch ist das Gesamtpotenzial für die Fernwärme? So entstand Stück für Stück eine detaillierte Karte, die als erstes Planungstool für ein Grobkonzept und die anschließende Feinplanung genutzt werden kann.

Stefan Ludewig, Abteilungsleiter Vertrieb Wärme und Dezentrale Erzeugung. Bild: BS|ENERGY.

Wie ist die Nachfrage nach Fernwärme?

Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist die Nachfrage nach einem Anschluss an das Fernwärmenetz noch mal deutlich gestiegen, da viele Kunden eine Alternative zum Heizen mit Gas suchen. Auch die monatelange Debatte im letzten Jahr um das neue Gebäudeenergiegesetz hat zu einer erhöhten Nachfrage geführt, denn mit Fernwärme können die Gesetzesanforderungen recht einfach erfüllt werden.

Ganz konkret: Welche Braunschweiger Wohngebiete kommen für den Ausbau in Betracht?

Höchste Priorität besitzen die Innenstadt und angrenzende Bereiche. Denn hier können sehr gut und effizient durch Nachverdichten „weiße Flecken“ erschlossen werden, wie derzeit zum Beispiel in der Okerstraße oder am Frankfurter Platz. Dann bietet sich das östliche und westliche Ringgebiet für eine Neuerschließung an, da es hier eine dichte Bebauung mit vielen Mehrfamilienhäusern gibt. Auch im Braunschweiger Süden wird der Ausbau sukzessive vorangehen. Aber grundsätzlich prüfen wir überall im Stadtgebiet akribisch, ob ein Fernwärmeanschluss in Frage kommt.

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